Menschenrechte sind keine Fußnote! Menschenrechte gehören ins Zentrum der Drogenpolitik!
Das erklärte Ziel der Vereinten Nationen und der demokratischen Staaten, Menschenrechte global zu gewährleisten, wird durch die aktuelle Drogenpolitik ad absurdum geführt.
Durch die repressive Drogenpolitik werden Menschenwürde und Menschenrechte im großen Stil bedroht und bestehende systematische Menschenrechtsverletzungen legitimiert.1
Der weltweite Drogenkrieg führt zu einem Erstarken krimineller Strukturen, wachsender Korruption und zunehmender Militarisierung der Innenpolitik.2 Todesstrafe und Exekutionen3, extralegale Hinrichtungen im großen Ausmaß, Lagerhaft und unwürdige Haftbedingungen, Folter, Zwang und Willkür4 gehören zur Realität des Drogenkrieges untrennbar dazu. Die staatlichen Massenmorde in Thailand (2003)5 und den Philippinen (seit 2016)6 belegen, dass im Namen der Drogenbekämpfung grausamste Verbrechen begangen werden.
Ebenso ist zu beobachten, dass die Prohibition zunehmend als Instrument zur Bekämpfung von politischer Opposition, freiem Journalismus und Menschenrechtsaktivismus benutzt wird.7
Durch die staatliche Repression und gesellschaftliche Ausgrenzung werden drogengebrauchende Menschen stigmatisiert. Deren Lebenssituation wird durch Strafverfolgung künstlich verschärft. Die Kriminalisierung bewirkt soziale Isolation, erhöhte Gesundheitsrisiken und eine Steigerung der Risiken des Drogengebrauchs.8
Andererseits werden noch immer zahlreiche medizinische Möglichkeiten durch die Prohibition blockiert, sowohl in der Sucht-, als auch in der Psycho- und Schmerztherapie. Für viele Menschen bedeutet die Verhinderung des Zugangs zu jenen Therapien soziale Exklusion und die Verhinderung von Teilhabe in der Gesellschaft, da Erkrankungen und deren Symptome ihren Alltag dominieren und eine Linderung ideologisch verhindert wird.
Grundlegende bürgerlicher Freiheiten werden im Rahmen der Drogenpolitik relativiert. Die Zahl der Telefon- und Computerüberwachungen steigt an.9 In Zusammenhang mit der Drogenbekämpfung werden immer wieder Polizeiübergriffe und Polizeiwillkür gemeldet.10
Systematische Menschenrechtsverletzungen und eine Destabilisierung der Demokratie sind wesentliche Folge aktueller Drogenpolitik. Somit kann es sich hierbei nicht um eine Fußnote oder Randnotiz handeln. Es geht um grundlegende Entscheidungen und Weichenstellungen, die letztlich die gesamte Gesellschaft betreffen.
Deshalb machen wir am „Tag der Menschenrechte“ auf dieses Problem aufmerksam.
Konkret erwarten wir, dass sich gesellschaftliche Organisationen, die sich für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit oder Entwicklungshilfe engagieren, noch stärker dieser Thematik zuwenden. Es braucht viele Stimmen, um auf Menschenrechtsverletzungen im Rahmen der Drogenbekämpfung aufmerksam zu machen und den betroffenen Menschen beizustehen.
Wir sprechen Journalist:innen und Mitarbeitende von Medien an. Konkret erwarten wir, dass bei Berichten zur Realität von Drogengebrauch und Drogenpolitik die Würde und Rechte der betroffenen Menschen deutlicher in den Fokus genommen werden. Sprache und Wortwahl dürfen nicht dazu beitragen, Stigmatisierung und Pauschalurteile zu verfestigen.11
In der politischen Debatte zur Drogenpolitik kommt der Aspekt „Menschenrechte“ selten zur Sprache. Es ist die Aufgabe der politisch Verantwortlichen in den Parteien und Parlamenten, ihre drogenpolitischen Entscheidungen diesbezüglich kritisch zu überprüfen. Konkret erwarten wir, dass die Kriminalisierung drogengebrauchender Menschen beendet wird. Angebote zur Drogenhilfe brauchen Rechtssicherheit. Auch hier ist jede Kriminalisierung umgehend zu beenden. Die medizinische Nutzung von Drogen darf nicht länger durch das Strafrecht behindert werden.
Im internationalen Kontext, u.a. innerhalb EU und UN, sollte sich Deutschland aktiv für Menschenrechte in der Drogenpolitik einsetzen. Konkret erwarten wir, dass Todesstrafe, Folter und Internierung als Formen der Drogenpolitik nicht länger akzeptiert werden. Jegliche finanzielle, polizeiliche und logistische Unterstützung12 von Staaten, die bei der sog. Drogenbekämpfung diese Mindestforderung nicht erfüllen, muss eingestellt werden.
Menschenrechte sind keine Fußnote! Menschenrechte gehören ins Zentrum der Drogenpolitik!
Schildower Kreis, 7.12.2024
Ansprechpartner:innen:
Michael Kleim
Ev. Pfarrer i.R.
michael.kleim [at] gmx.de
Prof. Dr. Bernd Werse
Direktor des Instituts für Suchtforschung der Frankfurt UAS
bernd.werse [at] fb4.fra-uas.de
Philine Edbauer
Fachreferentin für Entstigmatisierung und Entkriminalisierung
pe [at] mybrainmychoice.de
Referenzen:
1 Vgl. Statement des UN-Hochkommissars für Menschenrechte „The “war on drugs” has failed, says High Commissioner“ (Juni 2024) https://www.ohchr.org/en/statements-and-speeches/2024/03/war-drugs-has-failed-says-high-commissioner; Vgl. Bericht A/HRC/54/53 des UN-Hochkommissars für Menschenrechte (August 2023) https://undocs.org/A/HRC/54/53; Zusammenfassung und internationaler zivilgesellschaftlicher Appell auf Deutsch: https://mybrainmychoice.de/un-menschenrechtsbeauftragter-zivilgesellschaftliche-erklaerung/; Vgl. Special Rapporteur Pressemitteilung „UN experts call for end to global ‘war on drugs’“ (Juni 2023) https://www.ohchr.org/en/press-releases/2023/06/un-experts-call-end-global-war-drugs; Auf Deutsch: https://mybrainmychoice.de/un-menschenrechte/
2 Vgl. Abschnitt III B im Bericht A/HRC/54/53 des UN-Hochkommissars für Menschenrechte (August 2023) https://undocs.org/A/HRC/54/53 (August 2023); Vgl. Berichte der Global Commission on Drug Policy https://www.globalcommissionondrugs.org/reports, inbs. „Enforcement of Drug Laws: Refocusing on Organized Crime Elites“ S. 11ff. „Zur Militarisierung des Vorgehens gegen den Drogenhandel“ https://www.globalcommissionondrugs.org/reports/enforcement-of-drug-laws (auf Deutsch verfügbar).
3 Vgl. Berichte zur Anwendung der Todesstrafe von Harm Reduction International (2007-2024) https://hri.global/topics/drugs-and-human-rights/death-penalty-for-drugs/; Auf Deutsch (2022-2023) https://mybrainmychoice.de/todesstrafe-drogendelikte-2023/ bzw. https://mybrainmychoice.de/todesstrafe-drogendelikte-2022/
4 Siehe Fußnote 1
5 Vgl. International Harm Reduction Association (heute: Harm Reduction International) and Human Rights Watch briefing paper „Thailand’s ‚war on drugs’“ (März 2008) https://www.hrw.org/news/2008/03/12/thailands-war-drugs
6 Vgl. University of the Phlippinnes et al., Dahas Project, The latest numbers https://dahas.upd.edu.ph/sources/; Vgl. Human Rights Watch 2024 Report https://www.hrw.org/world-report/2024/country-chapters/philippines#1ff4dc
7 Siehe Fußnoten 1 und 2
8 Vgl. UN-Bericht A/79/177 „Report of the Special Rapporteur on the right of everyone to the enjoyment of the highest attainable standard of physical and mental health – Harm reduction for sustainable peace and development“ https://www.ohchr.org/en/documents/thematic-reports/a79177-report-special-rapporteur-right-everyone-enjoyment-highest (Juli 2024); The Lancet Commission „Public health and international drug policy“ (April 2016) https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(16)00619-X/abstract; The Lancet Global Health „Harm reduction must replace punitive drug policies“ (Dezember 2024) https://www.thelancet.com/journals/langlo/article/PIIS2214-109X(24)00525-4/fulltext
9 Vgl. Netzpolitik.org „Polizei hackt jetzt jede Woche mit Staatstrojanern“ (April 2024) https://netzpolitik.org/2024/justizstatistik-2022-polizei-hackt-jetzt-jede-woche-mit-staatstrojanern/#netzpolitik-pw
10 Vgl. Kernbefunde des DFG-Forschungsprojekts „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“ (KviAPol; Mai 2023) https://kviapol.uni-frankfurt.de/images/pdf/Zusammenfassung%20Gewalt%20im%20Amt.pdf; Vgl. Justice Collective und Schildower Kreis „Stellungnahme: Das Zweiklassen-System der Cannabislegalisierung“ (Dezember 2023) https://schildower-kreis.de/stellungnahme-das-zweiklassen-system-der-cannabislegalisierung/; Außerdem: Racism On Trial „Fallarchiv“ https://www.racismontrial.org/de/case-archive?charges=drug-offense
11 Hierzu: „Leitfaden und Glossar für entstigmatisierende Sprache“ https://gegen-stigma.de/
12 Vgl. Harm Reduction International „Report: Aid for the War on Drugs“ (2023) https://cdn.sanity.io/files/qi6v0jaz/production/5c23f767cae9dcd49cf71a0696873c0ca4103b4a.pdf?dl= bzw. https://www.investinjustice.net/