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Diese Stellungnahme wurde im Namen des Schildower Kreises e.V., Netzwerk von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis, erstellt. Wir bedanken uns für die Möglichkeit, zu dieser wichtigen Gesetzesreform Stellung zu nehmen und hoffen, dass möglichst viele unserer Vorschläge Berücksichtigung finden werden. Auch für den weiteren Fortgang des Gesetzgebungsprozesses stellen wir gerne unsere Expertise zur Verfügung.

Autorinnen und Autoren: Bernd Werse, Clivia von Dewitz, Anke Stallwitz, Gerrit Kamphausen, Fabian Steinmetz und Heiko Mohrdiek

Kontakt: Dr. Bernd Werse, Goethe-Universität Frankfurt, werse [at] em.uni-frankfurt . de

Einleitung

Die Legalisierung von Cannabis ist ein drogen- und gesundheitspolitisch lange überfälliger Schritt. Die geplante Entkriminalisierung de jure mit legalen Besitzmengen und Möglichkeiten zum individuellen und gemeinschaftlichen Eigenanbau begrüßen wir ausdrücklich als erste Maßnahme. Insbesondere, dass damit zuerst ein nicht oder nur wenig kommerzieller Marktzugang geschaffen wird, ist durchaus positiv zu sehen. Allerdings halten wir die wie hier vorliegend geplante Umsetzung in vielen Fällen für zu restriktiv, z.B. die Produktion unterschiedlicher Arten von Cannabisprodukten betreffend bzw. kaum praktikabel, u.a. was die Mindestabstände zu Schulen und ähnlichen Einrichtungen beim Konsum betrifft. Die bislang geplante Überregulierung der Anbauvereinigungen wird sich voraussichtlich abschreckend auf potenzielle Mitglieder auswirken, weshalb bei weitem nicht das volle Potenzial zur Verkleinerung des bisherigen (illegalen) Marktes ausgenutzt wird.

Insgesamt wirkt im Gesetzentwurf von der Wortwahl bis hin zu den Strafrahmen weiterhin die nahezu hundert Jahre andauernde Prohibition nach. Damit ist das CanG nicht als der politisch angekündigte Paradigmenwechsel anzusehen, obwohl inzwischen klarer wird, dass die wissenschaftlichen Grundlagen für eine solche Kriminalisierung fehlen (Wheeldon & Heidt 2023) bzw. häufig von mit dem Verbot verbundenen unhaltbaren Werturteilen geprägt waren und sind (Stone 2022).

Dabei ist uns bewusst, dass sich die Autorinnen und Autoren des Gesetzentwurfs durch den EU-Rahmenbeschluss 2004/757/JHA an eine Strafbarmachung gebunden sehen (Deutscher Bundestag 2022), da die Bundesregierung die politische Entscheidung getroffen hat, sich nicht der Neuinterpretation des Passus zur Möglichkeit der förmlichen Berechtigung des Handels (van Kempen & Fedorova 2023) anzuschließen. Dennoch bleibt der vorliegende Entwurf weit hinter den Möglichkeiten dessen, was dem Rahmenbeschluss gemäß machbar wäre, zurück, etwa hinsichtlich der Reduzierung der Strafmaße und der Möglichkeiten zur Verfahrenseinstellung.

Nicht nur unter uns als Schildower Kreis, sondern in weiten Teilen der Fachwelt besteht mittlerweile der Konsens, dass sich Androhung und Vollzug von Strafe sowie die damit verbundene Polizeiarbeit stark negativ auf Konsumierende und die Gesellschaft auswirken. Aus diesem Grund werden z.B. in manchen Staaten der USA Gruppen, die besonders durch die Prohibition geschädigt wurden, bei der legalen Regulierung und der Schaffung des entsprechenden Marktes bevorzugt behandelt (Kilmer & Pérez-Dávila 2023). Der vorliegende Gesetzentwurf ist über die teils extensive Straf- und Bußgeldandrohung weiterhin stark vom Schadpotenzial der Prohibition geprägt, wobei gleichzeitig die Vorteile einer legalen Regulierung nicht annähernd genutzt werden. Dies betrifft insbesondere zentrale Ziele des neuen Gesetzes – Gesundheits- und Jugendschutz.

Unter anderem aus diesen Gründen bedarf das Gesetz umfassender Überarbeitungen. Darüber hinaus gibt die „gute Praxis“ der legalen Regulierung einige Maßgaben vor (IDCP 2022, Transform 2023), die im Gesetzentwurf nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt sind, z.B. spezifisch geschlechtsbedingte Aspekte der legalen Regulierung und der resultierenden Veränderungen der Drogenmärkte sowie der individuellen Marktteilnahme. Verbesserungen der gesellschaftlichen Teilhabe insbesondere von Frauen stärken generell die gesamte Gesellschaft; dieser Gedanke sollte auch bei den anstehenden Verbesserungen des Entwurfs und der parlamentarischen Debatte vor Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag berücksichtigt werden. Ferner wird das Potenzial zur gesellschaftlichen Entstigmatisierung und Etablierung einer gesellschaftlich akzeptierten Cannabis-Kultur durch legale Regulierung nicht ausgeschöpft – dabei ist eine starke kulturelle Verortung des Cannabis-Konsums eine Grundlage für die Reduzierung gesundheitlicher Risiken (Marzahn 1994). Das Stigma, das mit dem Cannabiskonsum assoziiert ist, äußert sich nicht nur in den konkreten Risiken von Kriminalisierung wie Job- und Führerscheinverlusten o.ä., sondern auch in der stetigen latenten Sorge vor entsprechender Auffälligkeit, was sich belastend auf die Psyche Betroffener auswirkt. Gerade bei Menschen mit psychischen Vorbelastungen kann sich Stigmatisierung zusätzlich erheblich destabilisierend auswirken. Insgesamt ist das Thema der Gleichstellung (Social Equity) im bisherigen Gesetzgebungsverfahren nicht berücksichtigt worden. Dies betrifft neben Genderfragen und Entstigmatisierung von Konsumierenden auch Betroffene aus marginalisierten Gruppen, die nicht nur aktuell stärker den Risiken von Strafverfolgung ausgesetzt sind, sondern nach den bísherigen Plänen nur in geringem Maße von den Möglichkeiten zur legalen Versorgung profitieren können.

Im Folgenden sprechen wir die für uns wichtigsten Punkte an. Jenseits unserer Expertise aus Wissenschaft und Praxis ist es ebenso geboten, diverse Gruppen Betroffener in das Gesetzgebungsverfahren einzubinden. Die Berücksichtigung partizipativer Perspektiven ermöglicht eine pragmatische, an den Lebenswelten Konsumierender orientierte Gesetzgebung.

1. Besitzmengen

Grundsätzlich ist es akzeptabel, dass es Obergrenzen für den Erwerb von Cannabis geben soll, obwohl dies auch bei legalen und teils gefährlicheren Drogen wie Alkohol und Tabak oder auch psychoaktiven Medikamenten nicht der Fall ist. Die im Gesetz genannten generellen Obergrenzen für Besitz hingegen sind nicht gerechtfertigt und sollten ganz entfallen – alleine schon, weil sie, etwa in Privatwohnungen, sehr schwer zu kontrollieren sind sowie Willkür und Ungleichbehandlung der Ordnungsbehörden ermöglichen. Zudem sollte Drogenbesitz zum Eigenbedarf grundsätzlich keine Straftat sein, da es keine substanzielle, mit dem Grundgesetz konforme Begründung hierfür gibt.

Vor allem aber widerspricht die Obergrenze für privaten Besitz der Vorgabe, dass man als Privatperson bis zu drei Pflanzen anbauen darf. Gerade bei Freilandanbau können so deutlich mehr als 25 Gramm anfallen; gleichzeitig kann mit dieser nachhaltigen, keine externe Energie benötigenden Methode in der Regel nur einmal pro Jahr angebaut werden. Es muss möglich sein, dass eine Person so ihren Jahresbedarf bestreitet und daher deutlich mehr als 25 Gramm zuhause lagern darf (und ggf. auch vom Anbauort, etwa einem Kleingarten, transportieren darf). Daher plädieren wir dafür, die Formulierung in § 3 Absatz 1 zum Besitz zu streichen. Sollte dies aufgrund der Sachzwänge des EU-Rechts nicht möglich sein, könnte der betreffende Absatz z.B. folgendermaßen geändert werden:

§ 3

(1) Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, ist der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum erlaubt. Der Besitz von mehr als 25 Gramm Cannabis ist erlaubt innerhalb des befriedeten Besitztums einer Anbauvereinigung mit einer Erlaubnis nach § 11 Absatz 1 sowie Personen, die nach § 9 Absatz 1 Cannabis zum privaten Konsum angebaut haben.

Falls größere Mengen nicht generell erlaubt werden sollten, plädieren wir dringend dafür, den Besitz von Mengen über 25 g aus den Strafvorschriften (§36 Absatz 1 Satz 1) herauszunehmen. Personen, die eine größere Menge aus Eigenanbau bezogen haben, muss diese auch komplett erlaubt sein (s.o.), für andere Fälle sollte dieser Tatbestand mindestens nicht strafbar sein, da es keinen fundierten Grund für eine Strafbarkeit gibt, eine größere Menge zuhause zu lagern. Auch hier sei auf eine tendenzielle Gleichbehandlung mit legalen Drogen hingewiesen; unerlaubter Handel, Weitergabe etc. wären ja weiterhin strafbar. Denkbar wäre hier eine Verlagerung in das Ordnungswidrigkeitenrecht mit regelhafter Straffreiheit, sofern es keine Hinweise auf Handel o.ä. gibt.

2. Verbrechenstatbestände und Konflikte mit dem Grundgesetz

Grundsätzlich sind wir der Ansicht, dass es für Besitz- und Handelsdelikte mit Cannabis keine Verbrechenstatbestände geben sollte. Insbesondere weisen wir auf einen besonders problematischen Punkt hin, der dringend geändert werden müsste: nach § 36 Abs. 4 Nr. 4 begeht eine Person ein Verbrechen, “wer eine Schusswaffe oder einen sonstigen Gegenstand mit sich führt, der seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt ist und

a) sich Cannabis in nicht geringer Menge verschafft oder

b) eine in Abs. 1 Nr. 3 (Handel treibt) oder Nr. 5 genannte Handlung (Cannabis einführt, ausführt oder durchführt) begeht, die sich auf eine nicht geringe Menge bezieht”.

Wann eine “nicht geringe Menge” vorliegt, hat der Gesetzgeber für Cannabis bislang nicht geregelt. Der BGH hat 1984 in einer Entscheidung (Urteil vom 18. Juli 1984, 3 StR 183/84) die Schwelle vom Vergehen zum Verbrechen mit 500 Konsumeinheiten zu je 15 mg THC festgelegt. Die Bestimmung der Konsumeinheit, die mit dem Faktor von 500 Konsumeinheiten multipliziert wurde, ergab 7,5 Gramm THC. Daran hat sich die Justiz bis heute nahezu kritiklos orientiert. Lediglich das OLG Schleswig hat diese Entscheidung einmal kritisiert (NStZ 1995). Wenn aber die Justiz durch Festlegung eines Grenzwertes bestimmt, wann ein Verbrechenstatbestand vorliegt, dann ist das Prinzip der Gewaltenteilung durchbrochen. Es liegt mithin ein erheblicher Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG vor. (Siehe dazu ausführlich schon Vorlagebeschluss des AG Pasewalk vom 29. Juni 2021 (307 Ds 59/21), S. 57, zitiert nach juris).

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Vorlage neben weiteren Vorlagen mit Beschluss vom 14. Juni 2023 für unzulässig erklärt (Bundesverfassungsgericht 2023). Darin hat es erklärt, dass gegen “die Verwendung wertausfüllungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln im Strafrecht jedenfalls dann keine Bedenken bestehen, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für eine Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt.” Dies sei bei den Mengenbegriffen des Betäubungsmittelstrafrechts der Fall. “Sie haben durch eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung Konturierung erfahren.” Dies mag für die Festlegung der Fahruntüchtigkeit bei Alkohol gelten. Die Festlegung, wann ein Verbrechenstatbestand vorliegt oder nicht, muss jedoch zwingend der Gesetzgeber treffen. Aus Art. 103 Abs. 2 GG folgt, dass einerseits sicherzustellen ist, dass der demokratisch legitimierte Gesetzgeber über Voraussetzungen und Grenzen einer Strafbarkeit selbst entscheidet sowie dem rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten dient, indem er den Gesetzgeber dazu anhält, Strafnormen so zu fassen, dass bereits aus dem Wortlaut heraus erkennbar ist, ob ein Verhalten mit Strafe bedroht ist oder nicht (BVerfGE 47, 109.,120; Böse, Jura 2011, 617 ff.).

Das OLG Schleswig hat schon 1995 darauf hingewiesen, dass eine Freiheitsstrafe zwischen 1 Jahr und 15 Jahren regelmäßig nur dann zu begründen ist, “wenn der Täter durch den Handel – mit welcher Art und Menge Betäubungsmittel auch immer – vorsätzlich eine konkrete Gefahr für die Gesundheit mehrerer Menschen verursacht hat”. Bei einer Wirkstoffmenge von 185,10 g THC sah das OLG Schleswig den Verbrechenstatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nicht als erfüllt an, “weil mit dieser Menge weder eine ernsthafte Gesundheitsgefahr für einen einzelnen noch eine “mindere” Gefahr für eine Vielzahl von (auch jugendlichen) Menschen verbunden werden kann” (NStZ 1995).

Die Festlegung von 7,5 g reinem THC als Grenzwert für den Verbrechenstatbestand bei Cannabis begegnet vor allem auch deswegen großen Bedenken, weil seit Jahren zu beobachten ist, dass sich der durchschnittliche THC-Wert in beschlagnahmten Cannabis erhöht hat. Wie unter dem BtMG können Verbraucherinnen und Verbraucher auch unter dem CanG in der derzeitigen Fassung selbst nicht genau einschätzen, ob sie sich bereits im Verbrechenstatbestand bewegen. Art. 103 Abs. 2 GG soll auch Normadressatinnen und -adressaten schützen, insofern sie aus dem Wortlaut der Norm ersehen können, ob ihr Verhalten mit Strafe bedroht ist und wenn ja, wie hoch. Nach Franz v. Liszt sollen das Strafrecht und seine Nebenstrafgesetze “die magna charta des Verbrechers” sein. Das Bundesverfassungsgericht verweist selbst darauf, dass es Sache des demokratisch legitimierten Gesetzgebers sei, “Strafnormen den gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen”. Dies muss insbesondere auch dann gelten, wenn sich der THC-Gehalt bei Cannabis verändert, wie dies in den letzten Jahrzehnten geschehen ist.

Es sollte daher die missliche Formulierung “nicht geringe Menge” insgesamt aus dem CanG gestrichen werden (§ 36 Abs. 3 Nr. 4 und Abs. 4 Nr. 4 a und b)). Mangels besonderer Gefährlichkeit sollte auf die Normierung eines Verbrechenstatbestandes im Rahmen des CanG ganz verzichtet werden. Wie der Gesetzgeber selbst in der Begründung zum CanG auf S. 129 ausführt, ist “der Konsum von rein pflanzlichem Cannabis nach dem Stand der Wissenschaft nicht tödlich”. Bereits das OLG Schleswig hat 1995 darauf hingewiesen, dass der “Verbrauch von Cannabis nach den heutigen Erkenntnissen der Fachwelt allenfalls zu Risiken führen kann, die auch dem Konsum von Nikotin oder Alkohol zugeschrieben werden”. Hier wäre hinzuzufügen, dass von Cannabis weder schwere körperliche Schädigungen wie infolge intensiven Alkoholkonsums noch hohe Risiken von nicht selten tödlichen Folgeerkrankungen wie bei gerauchten Tabakprodukten bekannt sind.

Solange an einem Verbot auch des Besitzes von mehr als 25 g Cannabis festgehalten werden soll, sollte zumindest ein Verstoß dagegen lediglich als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Wir raten aber dringend dazu, den Besitz jedweder Menge mangels besonderer Gefährlichkeit auch im Vergleich mit Alkohol straflos zu stellen.

Daher plädieren wir nicht nur dafür, dass, wie in Punkt 1 dargelegt, der Besitz auch höherer Mengen zum Eigenkonsum erlaubt oder zumindest straffrei sein sollten, sondern, dass die Strafvorschriften der §§ 36 ff CanG gänzlich aus dem Entwurf gestrichen werden.

3. Bußgeldtatbestände

Auch die Bußgeldtatbestände bedürfen dringend einer Überarbeitung. Insbesondere die Bußgeldandrohung für diverse Tatbestände gemäß § 38 Abs. 1 CanG in Höhe von bis zu 100.000,00 EUR erscheint abwegig und bietet ein Risiko für staatliche Willkür. Ferner bleiben einfachste verfassungsrechtliche Anforderungen unberücksichtigt.

Zudem sind die genannten Tatbestände wegen ihrer uferlosen Rechtsfolge unbestimmt – die Adressatinnen und Adressaten können nicht absehen, was sie erwartet. Die zumindest hinsichtlich der Konsumtatbestände stark überzogene Rechtsfolgenandrohung ist weder erforderlich noch im Geringsten verhältnismäßig i.e.S. Es wird weder das staatliche Übermaßverbot gewahrt noch lässt sich irgendeine Eignung zur Regelung des Umganges mit Cannabisprodukten erkennen.

Zu erwarten wäre eine Staffelung, die im unteren Bereich die Sanktionsschere auf einen niedrigen dreistelligen Betrag begrenzt. Geringe Verstöße gegen die im entsprechenden Abschnitt vorgesehenen Ordnungswidrigkeiten sollten regelhaft nicht mit Bußgeldern belegt werden, vergleichbar etwa mit dem Umgang mit Verstößen gegen Rauchverbote.

4. Cannabissamen

Es ist zu begrüßen, dass nach über zwei Jahrzehnten Verkaufsverbot für potente Cannabissamen in Deutschland wieder der legale Bezug derselbigen möglich werden soll. Allerdings ergibt es keinen Sinn, dass nur der Import solcher Samen erlaubt werden soll und nicht der Verkauf in Deutschland. Es spricht nichts dagegen, auch Letzteres wieder zu ermöglichen; zudem kann der Staat durch die anfallenden Steuern Einnahmen generieren, die sonst ins Ausland fließen. Daher sollte § 4 entsprechend erweitert werden:

§ 4

Der Verkauf von Cannabissamen sowie deren Einfuhr aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum Zweck des privaten Eigenanbaus zum Eigenkonsum von Cannabis nach § 9 oder des gemeinschaftlichen, nicht-gewerblichen Anbaus von Cannabis in Anbauvereinigungen zum Eigenkonsum nach Kapitel 4 ist erlaubt.

Im Übrigen wäre es wünschenswert, wenn es Privatpersonen auch ermöglicht wird, zusätzlich zu Samen auch Cannabis-Stecklinge erwerben zu können, wie es aktuell in Österreich möglich ist. Dies wäre durch eine kleine Erweiterung des o.g. Paragraphen (“…und bis zu drei nicht blühenden Cannabis-Stecklingen”) möglich.

5. Anbauvereinigungen

Das Konzept der Anbauvereinigungen (im Folgenden AV) basiert auf den in einigen anderen Ländern erprobten “Cannabis Social Clubs”, die auf sozialem Engagement und Miteinander beruhen (Pardal et al. 2022). Daher dürfen Restriktionen nicht Menschen entmutigen oder strafrechtlich gefährden, die sich dieser Aufgabe widmen möchten. Das Konsumverbot innerhalb AV konterkariert das Ziel eines respektvollen Umgangs mit Cannabis und dessen Konsumentinnen und Konsumenten. Gemeinschaftlicher Konsum ist ein Kernelement des Konzepts von Cannabis Social Clubs, das informelle soziale Kontrolle, Aufklärung und Beratung von Konsumierenden untereinander ermöglicht: U.a. können sich Personen mit substanzbezogenen Problemen niedrigschwellig mit anderen Konsumierenden auf Augenhöhe austauschen und Unterstützung erhalten. Den Konsum ausschließlich an wenigen Orten an freier Luft (siehe Abschnitt 7) oder in den eigenen vier Wänden zu erlauben, erschwert Peer-Unterstützung, verantwortungsvollen Konsum und soziale Aktivitäten jenseits des Konsums.

Die Regelungen für die Erlaubnispflicht (§ 11 und § 12) sollten dahingehend erweitert werden, dass Personen mit Cannabis bezogenen Vorstrafen, die nicht mit Gewalt, Schusswaffen o.ä. zu tun hatten – also auch Delikte mit “nicht geringen Mengen” – keinen Ausschlussgrund darstellen (betr. § 12 Absatz 2 Satz 1 e). Darüber hinaus ist es unrealistisch, von Vornherein die zu erwartenden Mengen von Marihuana und Haschisch zu bestimmen, zumal das Konzept des Kaufs ausschließlich über Mitgliedsbeiträge fragwürdig ist (s.u.). Daher sollte § 11 Absatz 4 Satz 9 gänzlich entfallen. Außerdem sollte nicht, wie in § 11 Absatz 4 Satz 12 (bzgl. § 23 Absatz 6) vorgesehen, jeder Verein ein eigenes “Gesundheits- und Jugendschutzkonzept” vorlegen. Effizienter wäre hier im Sinne eines allgemeingültigen, standardisierten Konzepts des Jugendschutzes, allen Anbauvereinigungen dieselben Regeln aufzuerlegen, die in Bezug auf Jugendschutz sehr knapp ausfallen können, da Kindern und Jugendlichen nach derzeitigem Stand der Zutritt ohnehin nicht gestattet sein soll. Ggf. können die Vereinigungen, wenn gewünscht, noch weitere Regeln hinzufügen. Für den Fall, dass Jugendlichen im Alter von 16 und 17 Jahren unter den unter “5. Jugendschutz” beschriebenen Bedingungen Zugang gewährt werden sollte, müsste das Jugendschutzkonzept sehr bedacht und am aktuellen Forschungsstand orientiert entwickelt werden.

Für äußerst unrealistisch halten wir die Bestimmungen in § 17 zum gemeinschaftlichen Eigenanbau. Es ist kaum denkbar, dass in einem Verein mit bis zu 500 Mitgliedern der Großteil des Anbaus über ehrenamtliche Vereinstätigkeit, und zwar aufgeteilt unter sämtlichen Mitgliedern (!), stattfinden kann, lediglich unterstützt durch einige geringfügig Beschäftigte. Die Grundidee eines Cannabis Social Clubs ist, dass deren Mitglieder eben nicht zwangsläufig selbst aktiv werden müssen, um an die angebauten Cannabisprodukte zu gelangen. Eine Mitwirkungspflicht sämtlicher Mitglieder wird in vielen, wenn nicht allen Fällen zu Chaos und Demotivation führen. Angesichts der auch sonst bislang restriktiven Auflagen gehen wir davon aus, dass viele Konsumierende sich dies ersparen möchten und entweder auf Eigenanbau, die ohnehin weit verbreitete (dann weiterhin illegale) Versorgung über Freunde (“Social Supply”; vgl. Werse & Bernard 2016) oder den profitorientierten Schwarzmarkt zurückgreifen. Daher empfehlen wir dringend, die Regelungen so zu überarbeiten, dass AV regulär Personen beschäftigen können, die den Anbau fachkundig betreiben bzw. betreuen. Um den nichtkommerziellen Charakter zu bewahren, könnte der Gesetzgeber in § 17 feste Sätze für Löhne, etwa entsprechend TV-ÖD, festlegen. Denjenigen Mitgliedern, die sich gerne selbst am Anbau beteiligen möchten, sollte dies dennoch möglich sein; die Menge der zu erhaltenden Cannabisprodukte kann dann mit dem Arbeitsaufwand verrechnet werden.

Damit zusammenhängend sei auf einen weiteren problematischen Punkt verwiesen, der § 19 (kontrollierte Weitergabe) und v.a. Abschnitt 5 des CanG (Mitgliedsbeiträge und Selbstkostendeckung in Anbauvereinigungen) betrifft: es wird davon ausgegangen, dass Mitglieder die erhaltene Ware ausschließlich über Mitgliedsbeiträge (“Grundbeträge mit zusätzlichen Pauschalen gestaffelt im Verhältnis zu den an die Mitglieder weitergegebenen Mengen Cannabis”) bezahlen. Diese Prämisse geht von der Annahme aus, dass jedes Mitglied jederzeit ungefähr gleich viel Cannabis konsumiert. Diese Annahme ist schlicht falsch: Cannabiskonsum kann, wie etwa auch Alkoholkonsum, je nach Gelegenheiten, persönlichen Stimmungen u.a. höchst variabel ausfallen (vgl. z.B. Kemmesies 2004). Jemandem, der nur von Zeit zu Zeit Cannabis konsumiert, aufzuerlegen, jeden Monat dieselbe Menge abzunehmen, konterkariert Bemühungen zur Unterstützung moderater, sozial verträglicher Gebrauchsmuster. Ein solcher ‘Abnahmezwang’ bei Mitgliedschaft entspricht nicht dem Ziel des CanG, die öffentliche Gesundheit zu fördern. Daher muss es möglich sein, Cannabisprodukte nach Bedarf einzukaufen (Höchstmengen pro Monat vorausgesetzt). Der Mitgliedsbeitrag sollte sich dabei auf einen niedrigen Grundbetrag beschränken, der es auch gelegentlich Konsumierenden ermöglicht, sich über Anbauvereinigungen zu versorgen – ansonsten bliebe solchen Personen nur die Möglichkeit, Cannabis weiterhin illegal zu beschaffen. Daher plädieren wir für eine entsprechende Änderung der §§ 24 und 25.

Die Bestimmungen zu “Dokumentations- und Berichtspflichten” und deren Überwachung in den §§ 26 und 27 sind ebenfalls zu eng gefasst und dürften bei konsequenter Durchsetzung zu unnötigem bürokratischen Aufwand bei den AV wie auch den kontrollierenden Behörden führen. Grundsätzlich erscheint es sinnvoll, die angebaute Menge zu dokumentieren, aber es sollte ein gewisses Maß an Flexibilität möglich sein; z.B. sollte es den Vereinen ermöglicht werden, hergestellte Produkte (etwa Haschisch) länger zu lagern und erst später abzugeben. Dies würde auch Ressourcenverschwendung vermeiden helfen, da keine produzierten Cannabisprodukte vernichtet werden müssten.

Wie oben bereits erwähnt, halten wir die Abstandsregeln zu Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen etc. für unrealistisch. Im Prinzip handelt es sich um ein Verbot von AV in einem großen Teil besiedelter Gebiete – und das, obwohl die AV ohnehin von außen unauffällig sein sollen. Ob AV in Industriegebieten sich gegen einen ubiquitären Schwarzmarkt durchsetzen, ist stark zu bezweifeln (siehe auch Abschnitt 7). Zudem ergäbe sich bei Anwendung der bislang vorgesehenen Abstandsregeln im Zusammenhang mit der Vorgabe, eine AV pro 6.000 Einwohnerinnen und Einwohner betreiben zu können, z.B. in Großstädten das Problem, dass sich die dann möglicherweise über 100 Vereine pro Stadt z.B. in Industrie- bzw. Gewerbegebieten konzentrieren würden, was vermutlich nicht im Sinne lokaler Behörden wäre (Siehe auch die Ausführungen zu Abstandsregeln in Abschnitt 7).

Das Verbot der Extraktion mittels Lösungsmitteln (z.B. Flüssiggas) ergibt vielleicht im Privaten Sinn, insbesondere durch die Explosionsgefahr. In AV sollte es – geschultes Personal vorausgesetzt – möglich sein, derartige Gefahren zu vermeiden (siehe Abschnitt 8).

Schließlich vermissen wir den Aspekt der Nachhaltigkeit in den Bestimmungen zu AV. Bislang, im illegalen Markt, werden große Energiemengen verschwendet, um Cannabis unter Kunstlicht anzubauen. Für besonders potente Cannabissorten lässt sich diese Anbaumethode zwar nicht vermeiden, aber bei den heute verfügbaren Sorten ist es auch in unseren Breiten möglich, Cannabis mit relativ hohem Wirkstoffgehalt unter Sonnenlicht (Freiland oder Gewächshaus) anzubauen; zudem lassen sich aus den Pflanzen, die unter Sonnenlicht deutlich größer und ertragreicher wachsen können als unter Kunstlicht, große Mengen an potentem Harz gewinnen. Daher ist es dringend angeraten, AV, die (gut gesicherten) Freiland- bzw. Gewächshausanbau betreiben, Vorteile zu gewähren, etwa im Hinblick auf Steuernachlässe oder Subventionen bei Investitionen in den Anbauort. Darüber hinaus wäre zu prüfen, ob insbesondere bei den im Schnitt größeren Freilandpflanzen im Sinne der Nachhaltigkeit auch die anderen Teile der Pflanze verwertet werden können.

Insgesamt appellieren wir dringend an den Gesetzgeber, das Konzept der Anbauvereinigungen grundlegend zu überarbeiten. Nach dem bisherigen Entwurf gibt es eine eklatante Diskrepanz zwischen der geforderten Nicht-Kommerzialität und Ehrenamtlichkeit einerseits und der notwendigen Professionalität des Anbaus (gerade bei mehreren hundert Mitgliedern) andererseits. Der ehrenamtliche Vereinscharakter wiederum, zu dem vermutlich viele Menschen, die einfach nur legal Cannabis beziehen möchten, ohnehin keinen Bezug haben, steht im Widerspruch dazu, dass außer dem (extrem schwierig zu organisierenden) gemeinschaftlichen Anbau keinerlei Vereinsleben vorgesehen und gemeinsamer Konsum sogar explizit ausgeschlossen ist.

6. Jugendschutz

Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass das Verbot des Konsums von Cannabis für Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, lediglich eine Ordnungswidrigkeit und keine Straftat darstellen soll. Prävalenzstudien zeigen, dass das bisherige Verbot den Konsum von Cannabis bei Jugendlichen nicht verhindert; es bedingt jedoch hinsichtlich jugendlicher Konsumreduktion ineffiziente Bußgeldverfahren. Trotz aktueller Prohibitionspolitik sehen wir uns mit der Realität des seit langer Zeit weitverbreiteten Cannabiskonsums in dieser Altersgruppe konfrontiert (zumal von einer erheblichen Unterrepräsentation der von der BZgA regelmäßig veröffentlichten Cannabis-Konsumraten von Jugendlichen auf Basis telefonischer Befragungen auszugehen ist; Werse 2016; siehe auch Andersson et al. 2023)

In Aufsätzen, die Jugendliche als Weisung nach § 10 JGG für eine Einstellung des Verfahrens in den letzten Jahren geschrieben haben, wird deutlich, dass sich viele der potenziell negativen Auswirkungen von Cannabiskonsum auf Menschen unter 21 Jahren bewusst waren. Das bestehende Verbot hat sie jedoch weder davon abgehalten, die Droge auszuprobieren, noch den Konsum oder Handel (meist zur Finanzierung des eigenen Konsums) zu beenden. Wesentlich für Konsumreduktion oder -beendigung waren hier vielmehr die eigene Selbsterkenntnis, dass die schulischen Leistungen aufgrund des Cannabiskonsums abgefallen waren sowie der Einfluss nicht konsumierender Peers. Der Gesetzgeber sollte sich zudem bewusst sein, dass ein Verbot, auch wenn es nur dem Ordnungswidrigkeitengesetz unterfällt, einen offenen Aufklärungs- und Präventionsdiskurs mit Eltern, Lehrpersonen, Erziehungsberechtigten u.ä. erheblich erschwert oder unmöglich machen kann.

Eine Möglichkeit, die im Sinne des Jugendschutzes und der Suchtprävention erfolgversprechender sein könnte, wäre, sich hier an der gesellschaftlich etablierten Alkoholgesetzgebung zu orientieren und auch Jugendlichen im Alter von 16 und 17 Jahren Zugang zu Cannabis mit einem reduzierten THC-Gehalt von 10% und möglichst hohem CBD-Gehalt zu gewähren, um sie vor den Gefahren des Schwarzmarktes mit seinen unregulierten und teilweise kontaminierten Substanzen und zwangsläufig illegalem Verhalten zu schützen. Der Zugang zu legalem, reguliertem Cannabis kann für Jugendliche an kurze, lebensweltnahe und glaubwürdige Aufklärungsgespräche gekoppelt werden, in denen ihnen die möglichen Gefahren des Konsums sowie ein risikokompetenter Umgang (Nagy u.a. 2017) mit Cannabis vermittelt werden.

7. Abstandsregeln

Wie bereits in Punkt 4 zu den Anbauvereinigungen erwähnt, halten wir die vor allem in § 5 (Konsumverbote) festgelegten Abstandsregeln für weder sinnvoll noch praktikabel. Insbesondere § 5 Absatz 2 Satz 1 würde, wenn er in der bislang vorgesehenen Form gültig würde, für große Schwierigkeiten sorgen, die angesichts der z.B. im Vergleich zum weitaus weniger streng regulierten Alkohol eher geringen Risiken unnötig sind. So gibt es in größeren Städten kaum öffentliche Räume, die nicht in einem Radius von 200 m zum Eingang sämtlicher Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Sportstätten und Kinderspielplätzen liegen, so dass ein erlaubter Konsum im öffentlichen Raum nahezu unmöglich gemacht wird. Die Maßgabe, dass sich der Abstand auf den Eingangsbereich bezieht, verkompliziert die Sachlage eher noch, da meistens für Außenstehende nicht ersichtlich ist, wo überall Haupt- und Nebeneingänge von derartigen Gebäuden und Anlagen existieren. Ein weiterer zu berücksichtigender Aspekt ist der Umstand, dass die Abstandsgebote nicht zeitlich begrenzt sind. Sachlich ergibt es z.B. keinen Sinn, abends nicht in der Nähe von Kindergärten konsumieren zu dürfen, aber auch eine Orientierung an (nicht einheitlichen) Öffnungszeiten würde eine Umsetzung stark erschweren. Dies alles macht das Gebot auch für die Strafverfolgung schwer kontrollierbar. Zudem ergibt das Abstandsgebot nach § 5 Absatz 2 Satz 3 zu Anbauvereinigungen keinen Sinn, wenn diese selbst einerseits Abstandsgebote einhalten müssen und andererseits unauffällig gestaltet sein sollen, so dass außenstehenden Konsumierenden kaum bewusst werden dürfte, dass sie sich in einem unerlaubten Bereich befinden.

Würde der Konsum im öffentlichen Raum nach dem bisherigen Gesetzestext für viele weitgehend unmöglich gemacht, würde dies zu einem deutlichen Schwerpunkt des Konsums in privaten Räumen führen. Dabei ist davon auszugehen, dass der Nichtraucherschutz und v.a. der Kinder- und Jugendschutz darunter stark leiden würden.

Wir plädieren stattdessen für eine deutlich enger gefasste Abstandsregelung, die sich stärker an informellen Regeln des sozialen Miteinanders orientiert, wie sie zumeist auch heute schon etwa in Bezug auf Alkoholkonsum eingehalten werden: im unmittelbaren Eingangsbereich von Einrichtungen, die von Kindern und Jugendlichen frequentiert werden – sofern diese als solche erkennbar sind – sollte nicht konsumiert werden. Beziffern ließe sich dies z.B. auf 40 Meter. Wir plädieren daher dafür, § 5 Absatz 2 Satz 1 so zu ändern, dass “200 m” durch “40 m“ ausgetauscht wird und § 5 Absatz 2 Satz 3 gänzlich gestrichen wird. Zuwiderhandlungen sollten regelhaft nicht mit Bußgeldern bestraft werden, sondern in einer freundlichen Aufforderung, sich ein Stück zu entfernen, resultieren.

8. Extraktion

In der Begründung des Gesetzes wird im Abschnitt zu § 1 “Nummer 8” (S. 81) der Ausschluss von flüssigen Extrakten mittels Lösungsmittel (inklusive Wasser) beschrieben. Dieser Ausschluss erscheint weder sinnvoll noch durchsetzbar. Die finalen Produkte lassen sich in der Praxis kaum ohne aufwendige Analytik differenzieren, bspw. von durch Hitze extrahiertem Material (“Rosin”). Cannabisextrakte haben eine lange Tradition, die bis heute anhält. Von Tinkturen mit “indischem Hanf”, die es vor dem Verbot in deutschen Apotheken zu kaufen gab, bis hin zum “Dabbing”, also dem inhalativen Konsum mittels Verdampfungsgeräten (eine besonders schadstoffarme und geschmacksintensive Methode der Inhalation), gehören Extrakte zu typischen Cannabisprodukten. Fakt ist, dass es einen Bedarf dafür gibt. Dieser wird wahrscheinlich weiter steigen, zumal anzunehmen ist, dass sich Rauchen als Konsumform weiter reduzieren wird. Dass diese Konsumform grundsätzlich gesundheitlich bedenklicher wäre als konventionelles Cannabis zu rauchen, lässt sich nicht so pauschal sagen, wie es im Referentenentwurf getan wurde. Natürlich ist es leichter, höhere Mengen THC über ein Extrakt inhalativ aufzunehmen als mit einem typischen Joint, aber genau dies kann in vielen Fällen schadensminimierend wirken; Menschen mit entsprechendem Bedarf können so Wirkstoffe relativ schadstoffarm konsumieren. Gerade die Lungengesundheit von intensiv Konsumierenden sollte hier beachtet werden. Hohe THC-Gehalte sind im Übrigen ohnehin nicht per se riskanter, da zusätzlich dazu, dass weniger Schadstoffe aufgenommen werden, der CBD-Anteil eine wichtige Rolle für mögliche psychische Risiken spielt. Bei legaler Verfügbarkeit mit transparenten THC- und CBD-Gehalten kann der Konsum von hochprozentigem Extrakt weniger psychisch bedenklich sein als der von eher THC-schwachen Cannabisblüten mit marginalem CBD-Anteil.

Da die genannte Konsumkultur und auch ein Bedarf für diese Produkte existiert, wäre es wichtig für die allgemeine Sicherheit, Extraktion und Abgabe zu regulieren. Die Herstellung durch Laien stellt ein hohes Explosionsrisiko dar, weshalb sie nur durch geschultes Personal in entsprechenden Räumlichkeiten (bzw. im Freien) erfolgen sollte. Unter Auflagen sollte dies in Anbauvereinen unter Berücksichtigung von typischen Sicherheitsmaßnahmen geschehen. Der Schwarz- bzw. Graumarkt für Öle/Extrakte/Liquids scheint in vielen Regionen zu wachsen. Aufgrund von Konsistenz und den erwarteten Effekten bieten sich Extrakte besonders gut für gefährliche Falsifikate (etwa mit Cannabinoidmimetika als Wirkstoff) oder Produkte mit Verunreinigungen an. Der weitgehende Ausschluss von Extrakten stellt somit ein Risiko dar. Explosionen in Wohngebieten (wie bspw. in Köln 2017) und das Auftreten von Cannabisextrakten/-ölen/-liquids angereichert mit synthetischen Cannabinoiden sollten daran erinnern, dass der Status quo nicht zufriedenstellend ist und dieser Aspekt, wenn regulatorisch nicht adressiert, sich voraussichtlich weiter verschlechtern wird. Mit einer fundierten Regelung für Extrakte würde also auch einem der Hauptziele des CanG, einer Verbesserung der öffentlichen Gesundheit, Genüge getan.

Wir schlagen daher klare Regeln für das Herstellen und Abgeben von Cannabisextrakten vor. Dazu gehört, dass unter § 1 entsprechendes Material definiert wird (z.B. als “Cannabisextrakt: Cannabinoidauszüge in flüssiger bis fester Form;”), und dass dieses in die Gesetzgebung miteinbezogen wird. Sofern spezifische Mengenbegrenzungen für Extrakte erwünscht sind, sollte man sich grob an der Hälfte von “Marihuana”/”Haschisch” orientieren, da der Wirkstoffgehalt ca. dem Zwei- bis Dreifachen von Haschisch entspricht.

9. Keine neuen Verbote

Bis jetzt ist Drogenkonsum nicht verboten. Das könnte sich mit dem CanG ändern und auch zum Konflikt mit unserem Grundgesetz führen. Denn Eigenschädigung ist grundsätzlich nicht strafbar. Auch wenn die Absicht hinter dem Verbot positiv anzumerken ist und keine Strafe mit dem Verbot einhergeht, ist dennoch ein Jugendschutzgesetz (JuSchG) in Anlehnung an den Umgang mit Alkohol und Tabak besser geeignet. Diverse Konflikte können aus jenem Verbot in § 5 entstehen, die aktuell noch gar nicht abzusehen sind, beispielsweise verpflichtende Drogentests beim Verdacht auf Konsum oder Einschränkungen, was die medizinische Behandlung angeht.

10. Bundesnichtraucherschutzgesetz: Definition von “Rauchen”

Mit Einführung des CanG soll die Definition von “Rauchen” im BNichtrSchG erweitert werden, indem auch das Rauchen von Cannabis und das Verdampfen von Cannabis wie auch die Verwendung von E-Zigaretten, Tabakverdampfern o.ä. als “Rauchen” definiert werden soll. Es ist zwar nachvollziehbar, dass zum Schutz anderer Anwesender auch derartige Produkte an den meisten Orten, an denen nicht geraucht werden darf, nicht verwendet werden sollten. Die definitorische Subsumierung unter “Rauchen” seitens des Gesetzgebers widerspricht jedoch der wissenschaftlichen Evidenz: Jegliche Konsumformen, bei denen ohne Verbrennungsprozess inhaliert wird, sind weitaus weniger schädlich für die Atemwege als das Rauchen (Murkett et al. 2022). Zudem sind Gefahren durch “Passiv-Dampfen” von E-Zigaretten zu vernachlässigen (O’Leary et al. 2017).

Eine derart sachlich falsche Wortwahl könnte den in Deutschland immer noch starken Widerstand gegenüber weniger schädlichen Alternativen zum Rauchen weiter stärken (nachdem er zuletzt bereits seitens der alten Bundesregierung mit der Reform des Tabaksteuergesetzes gestärkt wurde). Während man in anderen Ländern mit einer positiveren Haltung zu schadensreduzierten Alternativen die Raucherquoten bereits deutlich senken konnte (Levy et al. 2020), ist der Anteil der Rauchenden in Deutschland zuletzt wieder merklich gestiegen (DEBRA 2023). Daher plädieren wir dafür, die geplante Änderung zurückzunehmen und stattdessen in den Text des BNichtrSchG bei den Orten, wo es nötig erscheint, auch das “Dampfen” zu verbieten, eben dieses dort namentlich zu erwähnen (z.B. als “Inhalieren von Dampfprodukten” o.ä.).

11. Fazit zu “Säule 1” und Ausblick auf “Säule 2” des CanG

Die zeitige Umsetzung der “Säule 1” ist ein erster wichtiger Schritt zu einer legalen Regulierung des Cannabis-Marktes. Der vorliegende Gesetzentwurf bedarf jedoch einer umfassenden Überarbeitung. Dazu haben wir in dieser Stellungnahme diverse inhaltliche Vorschläge gemacht. Generell gilt aus unserer Sicht, je mehr Barrieren für den Zugang der Endverbraucherinnen und -verbraucher zu legalem Cannabis bestehen, desto eher werden weiterhin Grau- und Schwarzmärkte genutzt (beispielhaft für Uruguay: Queirolo et al. 2022), und je stärker die Kriminalisierung weiter besteht, desto größer bleiben die nicht-intendierten Folgen des Verbots. Abschließend sei bezüglich “Säule 1” darauf hingewiesen, dass wir weiterhin verfassungsrechtliche Probleme bei den Strafvorschriften sehen, nicht zuletzt, weil mit der Verabschiedung des Gesetzes von einer erheblichen Änderung der Sach- und Rechtslage auszugehen ist (Bundesverfassungsgericht 2023).

Zudem appellieren wir an die Bundesregierung, auch die geplante 2. Säule der Cannabis-Legalisierung mit Modellprojekten zur kommerziellen Versorgung baldmöglichst anzugehen. Insbesondere die von der Bundesregierung postulierten hauptsächlichen Ziele – eine Verbesserung der öffentlichen Gesundheit und des Jugendschutzes – könnten mit möglichst breit angelegten Modellprojekten viel besser erreicht werden als mit Säule 1. Dabei sei hervorgehoben, dass wir es für sehr wichtig erachten, Säule 1 alleine aufgrund der kompletten Entkriminalisierung von Millionen Konsumierenden möglichst umgehend in Kraft treten zu lassen. Der Schwarzmarkt wird indes nur teilweise von der Ermöglichung von Eigenanbau und Anbauvereinigungen tangiert werden; voraussichtlich werden sich vor allem die ohnehin häufig Konsumierenden über diese Wege versorgen. Viele andere, v.a. seltener Konsumierende, werden weiterhin auf illegale Versorgungswege angewiesen sein, die im Fall von professionell operierenden illegalen Händlern weiterhin mit den üblichen Gefahren von Verunreinigungen, Düngerresten, Streckmitteln und beigefügten synthetischen Wirkstoffen assoziiert sind. Zudem wäre es auch dem Jugendschutz zuträglich, wenn der Schwarzmarkt insgesamt deutlich stärker reduziert würde.

Zusätzlich weisen wir an dieser Stelle nochmals auf das zu Beginn dieser Stellungnahme erwähnte Thema der sozialen Gerechtigkeit bzw. Gleichstellung hin. Die Ermöglichung legalen Handels wird es vielen bislang im illegalen Handel und Produktion Tätigen ermöglichen, in das legale Geschäft einzusteigen und sich sozusagen selbst zu entkriminalisieren. Damit fiele auch ein großer Teil der Arbeit der Strafverfolgungsbehörden zur Verfolgung des illegalen Handels weg, bei dem gerade diejenigen mit dem höchsten Risiko polizeilicher Auffälligkeit, die Straßendealer, auch häufig aus prekären Verhältnissen kommen (Egger & Werse 2019). Hier könnte also aktiv soziale Inklusion solcher Personen unterstützt werden.

Literaturverzeichnis

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