Plädoyer für eine gesetzgeberische Entscheidung zur Cannabislegalisierung

Dr. Clivia von Dewitz*, Simon Pschorr**

Dieser Artikel erschien zuerst in den Schleswig-Holsteinischen Anzeigen, dem Justizministerialblatt für Schleswig-Holstein, herausgegeben vom Ministerium für Justiz und Gesundheit des Landes Schleswig-Holstein. AUSGEGEBEN IM NOVEMBER 2023, TEIL A NUMMER 11.

Dr. Clivia von Dewitz ist Mitglied im Schildower Kreis.


I find it quite ironic that the most dangerous thing about weed is getting caught with it.

Bill Murray

Abstract

Der Deutsche Bundestag debattiert das Cannabisgesetz, einen vorsichtigen Versuch der rechtlichen Neubewertung der Cannabisprohibition. Im Folgenden soll die Entstehungsgeschichte des Verbots von Cannabis nachgezeichnet werden. In diesem Lichte muss die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsgemäßheit des Cannabisverbots betrachtet werden. Insbesondere gibt es noch immer keine einheitliche Einstellungspraxis der Länder und keine Entscheidung des Gesetzgebers, wann eine nicht geringe Menge vorliegt und somit der Verbrechenstatbestand eröffnet ist. Die Cannabis-Prohibition ist kein effektives Mittel des Gesundheitsschutzes, während eine maßvolle Legalisierung des Umgangs mit Cannabis zum Eigenkonsum Chancen für Konsumenten und Staat bietet. Deshalb plädieren wir für eine Legalisierung und eine klare und bestimmte Entscheidung des Gesetzgebers.

Entstehungsgeschichte der Drogenprohibition

Die Drogenprohibition ist nicht etwa aus dem Bedürfnis nach Gesundheitsschutz1 erwachsen. Vielmehr dominieren ökonomische Interessen den Gesundheitsschutz. Schon das Kaffeehandelsverbot Friedrichs des Großen ab 1766 und das Kaffeeröstverbot2 von 1781 lässt sich auf den Druck der deutschen Bierbrauer zurückführen, die Umsatzverlust bei Einfuhr von Kaffee aus Afrika fürchteten.3 „Ein jeder Bauer und gemeine Mensch gewöhnt sich jetzt zum Kaffee“, beklagte der preußische König und empfahl seinem Volk, bei der gewohnten Biersuppe4 zu bleiben, obwohl er selbst gerne Kaffee trank. Es wird gemunkelt, Friedrich der Große fürchtete, das aufputschende Getränk könnte das Volk zum Aufstand aufwiegeln. Jedenfalls stellte er 400 Soldaten als „Kaffeeschnüffler“ ein, deren Aufgabe es war, Kaffee zu „erschnüffeln“.5

Zu jener Zeit war der Konsum von Cannabis übrigens erlaubt. Das Verbot der Pflanze wurde im Wesentlichen von der Holz- und Papierindustrie sowie der Pharmaindustrie insbesondere der USA durchgesetzt, die Aspirin anstelle von natürlichem Cannabis auf dem Markt durchsetzen wollte.6 Daran lässt sich erkennen, dass die Auswahl verbotener und erlaubter Genussmittel von gesellschaftlichen, schutzgutunabhängigen Anschauungen geprägt ist, wie das BVerfG selbst konzedierte.7 Den USA gelang es während der Ersten Internationalen Opiumkonferenz 1911-1912 in Den Haag, die Teilnehmer zur Verabschiedung der Internationalen Opium-Konvention zu überzeugen. Dies wird als die Geburtsstunde der globalen Drogenprohibition verstanden.8 1925 wurde auf der Zweiten Internationalen Opiumkonferenz das Internationale Opiumabkommen verschärft. Cannabis wurde erstmals auf Antrag Südafrikas, Ägyptens und der Türkei verboten, was Deutschland unterstützte, weil es dadurch den Heroin-Export nach Ägypten sichern konnte. Erst 1931 beendete das Pharma-unternehmen Bayer die Heroinproduktion.9

1971 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Betäubungsmittelgesetz, das eine Verschärfung des Opiumgesetzes bedeutete und bis heute Cannabis adressiert. Legalisierungsinitiativen scheiterten bisher an politischen Mehrheiten. Mit dem Entwurf eines Cannabis-Gesetzes10 liegt nun erstmals ein (deutlich verbesserungswürdiger)11 Gesetzesentwurf zur Straflosigkeit des Cannabiskonsums vor.

Der Cannabis-Beschluss 1994

Das Betäubungsmittelrecht hinsichtlich Cannabis sah sich nicht nur wiederholter Kritik aus Öffentlichkeit und politischen Gremien, sondern auch verfassungsrechtlichen Zweifeln ausgesetzt, die sich in zwei Wellen umfassender Richtervorlagen12 niederschlugen. Bisher hielt das Cannabis-Verbot vor dem Bundesverfassungsgericht mit Einschränkung Stand.

Das Gericht erklärte das BtMG einschließlich der Sanktionierung des Cannabis-Besitzes 1994 für verfassungsgemäß.13 Es sei grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns festzulegen. Grundsätzlich sei die Strafbarkeit von einem legitimen Ziel getragen, obschon das Gericht anerkannte, dass Cannabis keine körperliche, sondern lediglich eine psychische Abhängigkeit hervorrufen würde, die unmittelbaren gesundheitlichen Schäden bei mäßigem Genuss als eher gering anzusehen seien und Cannabis keine „Schrittmacherfunktion“ zukomme. Es stellte ausdrücklich fest, dass sich „die von Cannabisprodukten ausgehenden Gesundheitsgefahren aus heutiger Sicht als geringer darstellen, als der Gesetzgeber bei Erlaß des Gesetzes angenommen hat“. Ein daraus folgendes gemindertes Gewicht des legitimen Ziels schlug sich im Rahmen der Erforderlichkeits- und Angemessenheitsprüfung jedoch nicht maßgeblich nieder. Die Strafandrohung für unerlaubten Erwerb und Besitz von Cannabisprodukten verstößt nach Ansicht des Gerichts nicht gegen das Übermaßverbot, weil der „Gesetzgeber den Strafverfolgungsorgangen ermöglicht hat, im Einzelfall durch das Absehen von Strafe oder Strafverfolgung einem geringen individuellen Unrechts- und Schuldgehalt der Tat Rechnung zu tragen“. Die „Strafverfolgungsbehörden, insbesondere Staatsanwaltschaften haben nach dem Übermaßverbot von der Verfolgung der in § 31a BtMG bezeichneten Straftaten abzusehen“ [Hervorhebung durch Autoren]. Weiter heißt es: „Die Länder trifft hier die Pflicht, für eine im wesentlichen einheitliche Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften zu sorgen“. In der Praxis hat diese Forderung einer Einstellung bei geringen Mengen für eine Erleichterung bei Konsumenten gesorgt und kann als kleiner Erfolg gewertet werden.

Richter Bertold Sommer hatte sein Sondervotum unter anderem damit begründet, dass die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes einer Überprüfung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Übermaßverbot) schon 1994 nicht mehr standhielten, weil der Gesetzgeber bereits ausreichend Gelegenheit und Anlass hatte, nachzusteuern. Der Verstoß gegen das Übermaßverbot werde nicht dadurch ausgeräumt, dass nach Maßgabe der Vorschriften der §§ 29 Abs. 5 und 31a BtMG von Strafe oder von Verfolgung abgesehen oder das Verfahren eingestellt werden könne (sogenannte prozessuale Lösung).

„Nach meiner Auffassung kann auf der Grundlage dieses Standes wissenschaftlicher Erkenntnis die Gefahreneinschätzung durch den Gesetzgeber, die freilich nur eingeschränkter verfassungsgerichtlicher Kontrolle unterliegt (vgl. BVerfGE 88, 203 (262)), in Bezug auf Cannabisprodukte nicht länger unverändert zugrunde gelegt werden. Der einer Beobachtungs-, Prüfungs- und Nachbesserungspflicht unterliegende Gesetzgeber (…) muss bereits gegenwärtig Korrekturen – und zwar an den zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellten materiellen Straftatbeständen – vornehmen, um einen Verstoß gegen das Übermaßverbot zu beheben; eine bloße weitere Beobachtung und Prüfung in der Zukunft (Vgl. Beschluß C.I.6.) genügt nicht. (…) Das Anknüpfen der Strafdrohung an ein Verhalten äußerst geringer, nur mittelbarer Gefährlichkeit rückt sie damit in die Nähe eines bloßen Mittels zum Zweck; das aber läßt die Strafdrohung als mit dem verfassungsrechtlich geschützten Wert- und Achtungsanspruch nicht mehr vereinbar erscheinen. (…) Gegen die ´prozessuale Lösung` des Senats spricht – neben dem auch im Beschluß (C.I.5.c)c2)) aufgezeigten Problem einer länderweise erheblich von einander abweichenden Einstellungspraxis – Art. 103 Abs. 2 GG.“14

Bedauerlicherweise wurden die Argumente des Sondervotums nicht mehr aufgegriffen. 29 Jahre nach dieser Entscheidung gibt es noch immer keine einheitliche Einstellungspraxis der Länder. Berlin stellt bis 15 Gramm ein, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz bis zehn Gramm und die übrigen Bundesländer bis sechs Gramm.15 In Mecklenburg-Vorpommern besteht noch nicht einmal eine rechtliche Bestimmung, bis zu welcher Grammzahl ein Verfahren eingestellt werden muss.16 Vor diesem Hintergrund geht ein Verweis auf die Einschätzungsprärogative ins Leere, entzieht sich der Gesetzgeber ebenjener Einschätzung. Wenn der Gesetzgeber klare Vorgaben einer Verfassungsgerichtsentscheidung 29 Jahre lang nicht umsetzt, ohne dass das Gericht Konsequenzen zieht, steht zu befürchten, dass die Legislative Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auch in Zukunft ignorieren wird.

Der Verbrechenstatbestand der nicht geringen Menge in der Rechtsprechung

Besonders deutlich wird die legislative Untätigkeit anhand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, der Besitz, Handeltreiben, Herstellung und Abgabe von Betäubungsmitteln (einschließlich) Cannabis zum Verbrechen erklärt. Bislang hat es der Gesetzgeber versäumt, zu bestimmen, wann eine Menge eines gewissen Betäubungsmittels als nicht gering i. S. d. Tatbestands einzustufen ist. Die Vorlage des Amtsgericht Pasewalk vom 29. Juni 2021 moniert, dass der Gesetzgeber damit seiner Pflicht17 aus Art. 103 Abs. 2 GG,18 wesentliche Fragen der Strafbarkeit zu entscheiden,19 nicht nachgekommen ist und – der Normadressat20 nicht erkennen kann, wann eine Handlung mit Strafe bedroht ist. „Das StGB und seine Nebengesetze sollen nach dem berühmten Diktum von Franz von Liszt ,die Magna Charta des Verbrechers sein’. (…) Der Normadressat kann aufgrund der Schwankungen des THC-Gehalts und der bedenklichen Nähe zwischen dem Bagatellbereich des Besitzes der geringen Menge zum Eigenbedarf und der nicht geringen Menge, die zur Annahme des Verbrechenstatbestandes führt, nicht erkennen, wann er (gemäß § 31a BtMG) straffrei ausgehen soll, wann er im Vergehenstatbestand (des § 29 BtMG) agiert und wann er vom Vorliegen eines Verbrechenstatbestandes (des § 29a BtMG) ausgehen muss“.21

Auch die Rechtsprechung tut sich schwer, das Merkmal zu konturieren, fehlt es an einer Wertung hinsichtlich des maßgeblichen Entscheidungskriteriums in Gesetz und Gesetzesgeschichte. Ob der unterschiedlichen Wirkungsweise der vielen verschiedenen Betäubungsmittel, auf die § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG anwendbar ist, ist eine einheitliche Bestimmung eines Grenzwerts unmöglich.22 Nach der Rechtsprechung ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs maßgeblich.23 Dieser Maßstab führt nicht weiter, legt man ihn an THC-haltige Betäubungsmittel an.24 1995 hatte das OLG Schleswig dem BGH einen Fall vorgelegt, in dem es einen THC-Gehalt von 185,1 Gramm nicht für gefährlich genug hielt, um unter den Verbrechenstatbestand zu fallen.25 Thomas Herdegen arbeitet heraus, dass erst bei einem Konsum von 750 Kilogramm Cannabis eine unmittelbar tödliche Gefahr für den Menschen ausgeht.26 Eine solche Konsummenge dürfte zu Lebzeiten eines Menschen nicht erreichbar sein. Mit dem Urteil vom 18. Juli 1984 hat sich der Bundesgerichtshof deshalb darauf zurückgezogen, die nicht geringe Menge als „Vielfaches“ der Konsummenge27 zu definieren; der Senat sah „sich daher zur Zeit nur in der Lage“ die Grenze bei 500 Konsumeinheiten und also einer Wirkstoffmenge von 7,5 Gramm THC zu ziehen.28 Die Grenzziehung bei 500 Konsumeinheiten kann nicht mehr als Akt der Auslegung anhand eines vom Gesetzgeber gesicherten Prüfungsprogramms,29 sondern nur noch als Akt der verfassungswidrigen Rechtsschöpfung eingestuft werden.30

Das BVerfG hat mit Beschluss vom 14. Juni 2023 die Vorlagen der Amtsgerichte Bernau, Münster und Pasewalk, die die Verfassungsmäßigkeit der Cannabis-Prohibition erneut in Frage gestellt hatten, als unzulässig zurückgewiesen und damit sowohl die Untätigkeit des Gesetzgebers als auch explizit die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gebilligt.31 Fragen der Aufgabenverteilung zwischen Gesetzgeber und Gerichtsbarkeit spielen in der Entscheidung keine Rolle, obschon sie hier einen Verbrechenstatbestand und somit eine ganz erhebliche Strafdrohung32 betreffen. Die Konsequenz: Der Gesetzgeber überträgt im Entwurf des neuen Cannabisgesetzes die Aufgabe der Neubewertung der nicht geringen Menge explizit auf die Gerichtsbarkeit:33 „Der konkrete Wert einer nicht geringen Menge wird abhängig vom jeweiligen THC-Gehalt des Cannabis von der Rechtsprechung aufgrund der geänderten Risikobewertung zu entwickeln sein. Im Lichte der legalisierten Mengen wird man an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge nicht mehr festhalten können und wird der Grenzwert deutlich höher liegen müssen als in der Vergangenheit.“ Vielmehr wäre es Aufgabe des Gesetzgebers, die Entscheidung selbst zu treffen oder den Verbrechenstatbestand endgültig zu streichen.

Das Scheitern der Prohibition

Die Cannabis-Prohibition lässt sich angesichts aktueller Erkenntnisse aus den Ländern, die das Betäubungsmittel legalisiert haben (Uruguay 2013, Kanada 2018, und einzelne Bundesstaaten der USA wie Colorado (2014), Alaska und Oregon (2014), Washington State (2012) etc.), nicht mehr auf den Aspekt des Gesundheitsschutzes stützen.34 Die Legalisierung von Cannabis hat keinen empirisch evidenten Effekt auf die Konsumhäufigkeit. In den Niederlanden, wo der Besitz und Verkauf schon 1976 entkriminalisiert wurde, nimmt der Konsum seit 40 Jahren im gleichen Maße zu wie in anderen europäischen Ländern, in denen Cannabis noch illegal ist.35 Elian Pöpau zufolge hat sich zwar eine erhöhte Konsumprävalenz bei der Freigabe von Cannabis in Portugal, aber weder in den Cannabisshops in den Niederlanden noch seit der Einführung von Cannabis SocialClubs in Spanien gezeigt: In der Hauptkonsumentengruppe – Erwachsene im Alter zwischen 18 und 34 Jahren – sei der Konsum angestiegen. Bei Jugendlichen sei eine solche Entwicklung dagegen in keinem der drei Vergleichsstaaten nachzuweisen.

Einen viel größeren Einfluss als die Rechtslage hat, so Pöpau, die gesellschaftliche Einstellung zur freigegebenen Substanz, die bestimmt, wie verbreitet der Konsum in der Gesellschaft ist.36 Auch Lorenz Böllinger hatte schon darauf verwiesen, „dass Angebot und Nachfrage illegaler Drogen von gesetzlichen Regelungen nahezu unberührt bleiben und eher Moden und Trends unterliegen“.37 Die Mär von Cannabis als Einstiegsdroge hat schon das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 8. März 1994 entkräftet.38 Dennoch warnen diejenigen, die gegen eine Legalisierung argumentieren, nach wie vor davor, dass Cannabis ein Einstiegstor zu gefährlicheren Drogen sei. Solange Cannabis nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich ist, dürfte tatsächlich die Gefahr bestehen, dass dort auch andere, wirklich gefährliche Drogen angeboten werden. Um dem entgegenzuwirken, hilft nur die Legalisierung und die Austrocknung des Schwarzmarktes. Schließlich weist Pöpau darauf hin, dass Cannabiskonsum (anders als Alkoholkonsum)39 keine kriminalitätsfördernde Wirkung innewohne.40 Gefahren für die Gesundheit und die öffentliche Sicherheit lassen sich mithin kaum effektiv durch das gesetzliche Verbot von Cannabis verhüten.

Die Vorteile der Legalisierung

Die Vorteile einer Legalisierung überwiegen gegenüber den Gründen für die Prohibition. Nicht nur gewährleistet eine Legalisierung die Qualität der Produkte nachhaltig, da sie staatlich kontrolliert angebaut werden und keine Streckmittel hinzugefügt werden.41 Neben der Produktkontrolle kann auch der Jugend- und Verbraucherschutz gewährleistet werden, da das Thema Cannabiskonsum infolge der Legalisierung gesellschaftsfähig und deshalb anders öffentlich darüber diskutiert werden kann. Schließlich können die erwarteten Steuereinnahmen aus dem Verkauf von Cannabis für die Aufklärung über den risikoarmen Konsum,42 aber auch die negativen Auswirkungen bei Menschen unter 25 Jahren verwendet werden. Die Länder, die Cannabis legalisierten, zeigen, dass die Risikoeinschätzung der Gesellschaft und insbesondere vulnerabler Gruppen maßgeblich durch Aufklärung beeinflusst werden kann.43 Das verdeutlicht, wie wichtig Aufklärung ist und wie wichtig es ist, in Aufklärungsarbeit – sprich Prävention – zu investieren.

Will der Bundesgesetzgeber Gesundheitsschutz effektiv erreichen, ohne die Freiheit der Normunterworfenen überschießend einzuschränken, muss er den notwendigen ersten Schritt zur Legalisierung von Cannabis mindestens zum Eigenkonsum gehen. Dabei kann und muss er klare Grenzen zwischen legalen Eigenkonsummengen und strafbaren Handelsmengen, besonders nicht geringer Mengen, ziehen. Nicht geringe Mengen sollten, sofern sie den Verbrechenstatbestand eröffnen, sehr hoch angesetzt werden; mindestens bei 300 Gramm THC-Gehalt. Der Verbrechenstatbestand fände dann erst bei handelstauglichen Mengen, nämlich 1,5 kg Haschisch mit einem Durchschnitts-THC-Gehalt von 20 % und 2 kg Cannabis mit einem Durchschnitts-THC-Gehalt von 15 % Anwendung. So würde die Qualifikation auf einen engen Anwendungsbereich handelstypischer Mengen zurückgeführt und damit der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt. Letztendliches Ziel des Gesetzgebers sollte jedoch sein, Cannabis vollständig zu legalisieren.44


*  Dr. Clivia von Dewitz ist Richterin am Amtsgericht Bad Segeberg, zur Zeit beurlaubt, um ihre Habilitation zu Therapeutischer Justiz und Restorative Justice zu verfassen.

** Simon Pschorr ist Staatsanwalt und abgeordneter Praktiker an der Universität Konstanz. Er war am 6. November 2023 als Sachverständiger vom Rechtsausschuss des BT zur Anhörung über das Cannabisgesetz geladen.

Fußnoten

  1. Dazu ausführlich Böllinger, Geschichte der Drogenprohibition, BAG-S Heft 2/2021, S. 15–-20; Böllinger, Aufstieg und Fall des Cannabis-Verbots, in: NK 2018, S. 281–299.
  2. Mit dem Kaffeeröstverbot, mit dem das Kaffeehandelsverbot umgangen wurde, sollte dem Volk endgültig der Kaffee ausgetrieben werden.
  3. Böllinger, Geschichte der Drogenprohibition, BAG-S Heft 2/2021, S. 15–20; Müller, Kiffen und Kriminalität, 2015, S. 181.
  4. Brigitte Kohn, Friedrich der Große verbietet Kaffee-Rösten, BR vom 21. Januar 2019 (https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/kalenderblatt/friedrich-der-grosse-erlaesst-kaffeeroestverbot-kaffee-100.html). Übrigens ist der Hopfen der nächste biologische Verwandte des Cannabisstrauchs; vgl. nur Müller, Kiffen und Kriminalität, 2015, S. 46.
  5. Vgl. nur https://www.coffeecircle.com/de/b/kaffee-prohibition-deutschland.
  6. Böllinger, Geschichte der Drogenprohibition, BAG-S Heft 2/2021, S. 15–20 (16 f.).
  7. BVerfG NJW 1994, 1577-1590 (1585).
  8. So Böllinger, Geschichte der Drogenprohibition, BAG-S Heft 2/2021, S. 15–20 (17).
  9. Vgl. nur Böllinger, Geschichte der Drogenprohibition, BAG-S Heft 2/2021, S. 15–20 (19).
  10. BT-Drs. 20/8704 vom 9. Oktober 2023.
  11. Vgl. die Stellungnahme der Fachgruppe Strafrecht der NRV: http://www.neuerichter.de/details/artikel/article/geplante-legalisierung-von-cannabis-muss-optimiert-werden/.
  12. LG Frankfurt StrVert 1993, 77; LG Hildesheim DVJJ-Journal 1–2/1992 (Nr. 138), 212; AG Mettmann, 9 Ls 2 Js 1332/91, unveröffentlicht; AG Bernau
  13. BeckRS 2022, 49235; AG Bernau StV 2021, 455; AG Münster BeckRS 2020, 48943; AG Pasewalk BeckRS 2021, 24672. Am 11. März 2002 hatte das AG Bernau dem BVerfG einen weiteren Fall vorgelegt, der mit Entscheidung vom 29. Juni 2004 von der 3. Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts als unzulässig zurückgewiesen wurde; BVerfG, 2 BvL 8/02, zitiert nach juris. BVerfG NJW 1994, 1577–1590.
  14. Sondervotum Sommer, BVerfG, BVerfGE 90, 145-226, zitiert nach juris, Rn. 233, 246 und 255.
  15. Vgl. nur die Übersicht bei Müller, Kiffen und Kriminalität, 2015, S. 72.
  16. AG Pasewalk BeckRS 2021, 24672 Rn. 52.
  17. BVerfG NJW 2002, 1779 (1780); AG Villingen-Schwenningen BeckRS 2020, 167, Rn. 30; Gärditz, in: Strafverfassungsrecht, S. 33 f.; Ungern-Sternberg, in: Strafverfassungsrecht, S. 90; Nettesheim, in: Strafverfassungsrecht, S. 109 ff.
  18. Näher Pschorr, Der Schutz demokratischer Entscheidungsfindung durch den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) in: Staffler u.a., Strafrecht und Demokratie, S. 131-156 (136 ff.).
  19. BVerfG BeckRS 2022, 36007, Rn. 35; BVerfG, NJW 2022, 1160, 1161 Rn. 90; BVerfG, NJW 2010, 3209, 3210 Rn. 72; AG Villingen-Schwenningen, BeckRS 2020, 167, Rn. 30; Tsoumanis, Bestimmtheit und Normativität im Strafrecht, S. 936.
  20. BVerfG NJW 1978, 933 (934); BVerfG NJW 1987, 3175; BVerfG NJW 1991, 91 (94).
  21. Amtsgericht Pasewalk, BeckRS 2021, 24672 Rn. 199 ff.
  22. BGH NJW 1984, 675 (676).
  23. St. Rspr., zuletzt BGH BeckRS 2023, 26429 Rn. 7.
  24. BGH BeckRS 2023, 26429 Rn. 7; BGH NJW 1985, 1404.
  25. OLG Schleswig, 1 Ss 379/94. BGH, 3 StR 245/95.
  26. Herdegen, Risiken beim medizinischen Einsatz von Cannabis, in: Ziegler, Cannabis, Ein Handbuch für Wissenschaft und Praxis, 2022, S. 216–223 (220).
  27. Zur Problematik der genauen Bestimmung der vielfachen Konsummenge bei neuartigen Betäubungsmitteln siehe zuletzt BGH BeckRS 2023, 26429 Rn. 17.
  28. BGH NJW 1985, 1404; so zuletzt auch BayObLG BeckRS 2023, 25872 Rn. 17.
  29. Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 20; Kargl, Strafrecht, Rn. 371; Rogall, in: KK-OWiG, § 3 Rn. 27; ähnlich Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 103 Abs. 2 Rn. 40 (wesentliche tatbestandliche Grenzziehung durch den Gesetzgeber).
  30. So auch Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, 5. Auflage 2020, § 5 Rn. 78 f.
  31. BVerfG NJW 2023, 3072 (3082) Rn. 107.
  32. Mit Relevanz für den Prüfungsmaßstab BVerfG NJW 1987, 3175; BVerfG NJW 2010, 3209 (3211) Rn. 75; BVerfG NVwZ-RR, 569 (571) Rn. 75; BVerfG NJW 2022, 1160 (1161) Rn. 94.
  33. BT-Drs. 20/8704, S. 130.
  34. So weist etwa Peter Cremer-Schaeffer in seinem Beitrag, Vergleich zu anderen Genussmitteln und suchterzeugenden Stoffen (Alkohol, Coffein, Nicotin, Heroin etc.), in: Ziegler, Cannabis, Ein Handbuch für Wissenschaft und Praxis, 2022, S. 208–215 (213), darauf hin, dass Cannabis zwar zu unerwünschten Wirkungen führen könne, diese aber in der Regel mild seien und bei Gewöhnung seltener aufträten. Er fasst zusammen, Cannabis sei im Ergebnis eine – wissenschaftliche betrachtet – eher ungefährliche Droge.
  35. Müller, Kiffen und Kriminalität, 2015, S. 113 ff.
  36. Pöpau, Das Ende der Cannabisprohibition?, 2023, S. 525.
  37. Böllinger, Drogenprohibition: Verfassungswidrige Verirrung des Strafrechts, in: HU, 2015, Heft 4, S. 95–106 (100).
  38. BVerfG, BVerfGE 90, 145–226; so auch Pöpau, Das Ende der Cannabisprohibition?, 2023, S. 271
  39. Zu den im Vergleich zu anderen Suchtmitteln erhöhten Gesundheitsgefahren von Alkohol vgl. Nutt/King/Phillips, Drug harms in the UK: a multicriteria decision analysis, Lancet, 2010, S. 1558-1565 (1561).
  40. Pöpau, Das Ende der Cannabisprohibition?, 2023, S. 523.
  41. Pöpau, Das Ende der Cannabisprohibition?, 2023, S. 524.
  42. Pöpau, Das Ende der Cannabisprohibition?, 2023, S. 525.
  43. Pöpau, Das Ende der Cannabisprohibition?, 2023, S. 526.
  44. So auch schon Müller, Kiffen und Kriminalität, 2015; Böllinger, Drogenprohibition: Verfassungswidrige Verirrung des Strafrechts, in: HU, 2015, Heft 4, S. 95–106; Böllinger, Geschichte der Drogenprohibition, BAG-S Heft 2/2021, S. 15–20; Böllinger, Aufstieg und Fall des Cannabis-Verbots, in: NK 2018, S. 281–299; Scheerer, Internationales Drogenkontrollrecht: Ursprung, Expansion, Erosion, in: KJ, 2019, S. 315–335; Nestler, Bürgerautonomie und Drogenstrafrecht, in: BAG-S Heft 2/2021, S. 21–25 sowie das Manifest des Schildower Kreises (https://schildower-kreis.de/drogenprohibition-gescheitert-schaedlich-und-teuer/).