von Rainer Ullmann
Ich bin Hausarzt in Hamburg und behandle seit mehr als 20 Jahren Heroinabhängige mit Substitutionsmedikamenten. Damals wurde die Substitutionsbehandlung gerade erst offiziell erlaubt, und nur die Heroinabhängigen, denen es nach jahrelanger Abhängigkeit schon sehr schlecht ging, durften überhaupt behandelt werden. Sie kamen mit Abszessen, Hepatitis- und einige auch mit HIV-Infektionen, sie waren arm, oft arbeits- und obdachlos. Viele waren sehr ungepflegt: deshalb wollten viele Ärzte mit Heroinabhängigen nichts zu tun haben.
Bei meiner Beschäftigung mit der Heroinabhängigkeit wurde mir bald klar, daß die wesentlichen Schäden –Abszesse, HIV- und Hepatitisinfektionen, Armut und Verwahrlosung – nicht durch den Konsum des Heroins, sondern durch die Prohibition verursacht werden. Damals wurde viel über das das hohe Risiko einer HIV-Infektion bei den Abhängigen diskutiert, die Heroin oder Kokain spritzen. Dieses hohe Risiko entsteht aber nur dadurch, daß die Abhängigen Heroin mit mehrfach benutzten Spritzen injizieren. Es gäbe kein Risiko, wenn sie die Möglichkeit hätten, pharmazeutisch reines Heroin in sterilen Einmalspritzen zu injizieren. Das haben in den letzten Jahren die verschiedenen Studien zur Behandlung mit Heroin gezeigt.
Heroin kann bei Überdosierung zu einer tödlichen Atemlähmung führen und es kann abhängig machen. Aber die anderen gesundheitlichen Schäden sind nicht Folge des Konsums von Heroin: sie sind allein Folge des Verbotes, Heroin als Genußmittel zu konsumieren. Auch bei dem Konsum anderer Genußmitteln wie Tabak, Alkohol und Beruhigungsmittel besteht das Risiko, abhängig zu werden. Bei unkontrolliertem Konsum sind Vergiftungen möglich. Einige Stoffe können Organe zerstören (dazu gehören besonders Tabak und Alkohol) oder Psychosen hervorrufen (dazu gehören Alkohol, Kokain, Amphetamine und seltener auch Cannabis). Das soll natürlich vermieden werden. Aber der Umgang mit diesen Stoffen kann und muß erlernt werden – genau wie vieles andere, was wir trotz eines Gesundheitsrisikos gern tun. Autofahren, Motorradfahren und die Ausübung riskanter Sportarten sind andere Beispiele, wie man durch Vorsicht und Übung das Risiko von Schäden vermindern kann
Die Befürworter der Prohibiton wollen Menschen mit dieser Maßnahme vom Konsum abschrecken und erhoffen sich dadurch weniger Schäden, darunter weniger Abhängigkeit. Das ist sicher gut gemeint, aber die Prohibition hat diese Erwartungen enttäuscht. Das Gegenteil ist der Fall.
Die Zahl der Konsumenten von Cannabis, Heroin und Kokain hat in Europa seit den 1960ern massiv zugenommen: diese Zunahme fand während der Prohibition statt. Man kann sogar annehmen, daß die Prohibition dieAusbreitung gefördert hat, weil Drogendealer wegen der hohen Gewinnmöglichkeiten große Mengen Cannabis, Kokain, Heroin und andere Stoffe, nach denen verlangt wurde, auf den europäischen Markt gebracht haben. Der Versuch, mit der Prohibition eine totale Kontrolle über Produktion, Handel und Konsum zu erreichen, hat zum Gegenteil geführt: zum totalen Kontrollverlust des Staates über Handel und Konsum. Die Kontrolle wird stattdessen von kriminellen Organisationen übernommen.
Die Prohibition ist aber nicht nur völlig unwirksam und damit gescheitert, sie ist sogar schädlich. Die Befürworter der Prohibition ignorieren völlig den ungeheuren Schaden, der durch die Prohibition entsteht.
Derjenige, der jetzt eine verbotene Droge konsumieren will, genießt wegen der Prohibition nicht den Schutz des Gesetzgebers vor schlechter Ware, vor Betrug und Wucher, wie wir ihn sonst gewohnt sind. Er bekommt oft eine Ware, die mit schädlichen Stoffen gestreckt ist. Die schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen habe ich erwähnt. Das ist das Gegenteil von dem angeblich angestrebten Gesundheitsschutz. Außerdem riskieren die Konsumenten soziale Probleme wie Arbeits- und Obdachlosigkeit und Haftstrafen.
In anderen Ländern hat die Prohibition sogar zu einer hier unvorstellbaren Gewalt mit tausenden Toten und zu einem massiven Einfluß der Drogenhändler auf Regierungen geführt.
Die Prohibition ist nicht nur gescheitert und schädlich, sie ist auch die teuerste Form der Drogenkontrolle. Der Staat verzichtet auf Steuereinnahmen, und er gibt riesige Summen für eine unwirksame Strafverfolgung aus. Nach allen ernstzunehmenden Untersuchungen wird geschätzt, dass etwa 5% der gehandelten Menge beschlagnahmt wird. D.h., 95% der illegal gehandelten Drogen erreichen den Konsumenten.
Seit Jahrzehnten ist völlig klar: die Prohibition ist ein untaugliches Mittel, um den Konsum von gesundheitsschädlichen Substanzen zu vermindern – abgesehen davon, daß ein Staat gut begründen muß, wenn er einem erwachsenen Menschen etwas verbieten will, was der zu seinem Vergnügen macht und ohne jemanden zu schaden.
Es gibt vielleicht nicht die Lösung des Drogenproblems. Es gibt aber eine Lösung für die von der Prohibition verursachten Probleme: das ist die Abschaffung der Prohibition. Dringend notwendig und lange überfällig ist eine neue Drogenpolitik, mit der der Staat wieder die Kontrolle über die als Genußmittel konsumierten Substanzen übernimmt. D.h., es muß legale Wege geben, diese Substanzen zu bekommen. Es muß eine offene wissenschaftliche Diskussion über Risiken geführt werden – wie sie jetzt langsam nach mehreren Jahrzehnten beginnt. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen bei dengesetzlichen Regelungen berücksichtigt werden, wie der Zugang zu diesen Stoffen gestaltet werden soll. Stoffe mit einem geringem Risiko körperlicher Schäden und mit geringem Abhängigkeitsrisiko können leichter zugänglich sein als Stoffe, die schnell abhängig machen, die schwere körperliche Schäden hervorrufen können oder bei denen Dosierungsfehler tödlich sein können. Stoffe, die gespritzt werden, sollen schwerer zugänglich und teurer sein als Stoffe, die als Tablette eingenommen werden. Eine kluge Besteuerung versucht auf der einen Seite über den Preis, den Konsum der gefährlicheren Stoffe zugunsten der weniger gefährlichen zu mindern. Auf der anderen Seite vermeidet sie, die Preise so hoch anzusetzen, daß es zu einem illegalen Angebot kommt.
Für den regulierten Zugang zu diesen Stoffen gibt es verschiedene Möglichkeiten: z.B. vom Staat geführte Drogenfachgeschäfte, staatlich lizensierte Geschäfte, Abgabe nur an eingetragene Kunden, Konsum nur in dafür vorgesehenen Einrichtungen, Verschreibungen durch Ärzte. Mit diesen Regelungen kann der Zugang begrenzt werden. Die Angst, daß bei einem legalen Zugang noch mehr Menschen die jetzt verbotenen Genußmittel konsumieren wollen, ist nicht begründet. Dafür gibt es viele Beispiele aus verschiedenen Ländern.
Es ist schwer zu verstehen, daß Regierungen an der unwirksamen, teuren und schädlichen Prohibition festhalten.