Reaction Books (London) 2008. 221 Seiten. ISBN-13: 9781 86189 381 9
Thema
Die Drogen-Politik ruht bei uns wie weltweit, zu ihrem eigenen Schaden, auf drei miteinander verbundenen Säulen: Einer einseitig negativen Drogen-Sichtweise, einem dominierenden US-amerikanischen Einfluss und auf einem Komplex aus miteinander verflochtenen Markt- und Professions-Interessen. Eine Basis, die unsere gesamte Drogen-Realität – Drogenprävention und Drogenarbeit, Drogenkonsum wie Drogenkriminalität – seit 100 Jahren und verstärkt seit 30 Jahren grundlegend repressiv einfärbt. Eine Basis, die zumindest im deutschsprachigen Bereich bisher nur höchst unzureichend untersucht und analysiert wurde.
Axel Klein lehrt an der englischen Universität Kent im Fach klinischer Anthropologie; zugleich war er jahrelang als Berater internationaler Drogenorganisationen in mehr als 20 Ländern aktiv (S. 37). Dementsprechend gilt sein kritisches Interesse vor allem den Auswirkungen einer vom „Westen“ aus vorangetriebenen Drogen-Politik auf die inneren (kulturellen i.w.S.) Verhältnisse in den weniger entwickelten „Entwicklungs“-Ländern, in denen ein „failing drugs war exacerbates social deprivation and penalizes the weakest members of society“ (14); ein Ansatz, den Manfred Kappeler („Drogen und Kolonialismus“ Frankfurt, 1991) schon in den 90er Jahren verfolgte.
In diesem „Krieg gegen die Drogen“ werde der ursprüngliche moralisch-aufklärerische Ausgangspunkt – nämlich der Schutz der „rationalen Autonomie des sich selbst bestimmenden Individuums“(S.17) – wie er auch den Anfängen der alkohol-gegnerischen Temperance-Bewegung zu Grunde lag, durch eine patriarchal orientierte staatliche Kontrolle pervertiert: „Some hundred years or so later, the result has been an unmitigated disaster that failed not only in its original objectives of maintaining a drug-free society, but has given rise to a monster of Frankensteinian proportions“ (24).
Inhalt
Klein untersucht zunächst unter der Überschrift „The pathology of drug use“ das Gewicht der üblicherweise im Vordergrund der Diskussion stehenden beiden Übel: Einerseits die „Drogenkriminalität“ – insbes. die durch diese Art der Politik forcierte Beschaffungskriminalität, das zumeist zu hoch angesetzte „organisierte Verbrechen“ und die vor allem in „schwachen“ Staaten grassierende Korruption. Und andererseits die „thorny question of addiction“ von ihren Ursprüngen in der „Erfindung“ der Alkohol-„Sucht“ im 19.Jhd. bis hin zu ihrer gegenwärtigen medizinisch geprägten Ausformung im Behandlungssektor: „Attributing the property of addiction to any particular substance does, however, raise as many questions as it seeks to solve. After more than half a century of research and promises of new insights from genetics and neuroscience, we are no closer to finding a biological aetiology of addiction“ (73).
Unter der entgegengesetzten Überschrift „Possible Benefits of Drug Use“ zieht er sodann einen Bogen vom frühen Beginn menschlicher Evolution (75) über deren führende Rolle im weltweiten kolonialen Handel -Kaffee, Tee, Kakao (99) – bis hin zu den Opiumkriegen mit China sowie den moderneren Formen des Cannabis- und Kokain-Handels: „These drug trading networks were linking Britain and Europe, the Americas, Africa, India and China into a global trading network long before the term globalization was dreamt of“ (104).
Doch erst das als Jugend-Problem begriffene „Drogen-Problem“ seit den 70er Jahren verlangte das moralische Eingreifen des Staates, und zwar unter zwei führenden Perspektiven: Einerseits begriff man nämlich das scheinbar allein die westliche Welt – USA und Westeuropa – betreffende Drogen-Problem als medizinisch anzugehende „Epidemie“: „Drugs, in short, were the scourge of the contemporary West, a Zivilisationskrankheit unknown to those still struggling to meet their material needs“ (116). Ein Problem, das andererseits durch „Dealer“ und Dealer-Organisationen sowie durch Einfuhren aus den Entwicklungsländern vorangetrieben werde. Als solcherart definiertes „globales“ Problem führte es im Rahmen der nach dem 2. Weltkrieg neu gegründeten UNO zu einer Vielzahl weltweit geltender drogenspezifischer Einrichtungen (die es in diesem Maße für andere Probleme und insbesondere auch für Alkohol kaum gab) – wie etwa den für die Überwachung zuständigen INCB oder den für Hilfemaßnahmen zuständigen UNODC, sowie zu den drei Drogen-Konventionen (1961: Single Convention; 1971: Convention on Psychotropic Substances; 1988: Convention against Illicit Traffic…), die, von 183 Staaten unterschrieben, vor allem als Grundlage der einzelstaatlichen repressiven Gesetzgebung dienen. Eine internationale Strategie, die schließlich 1988 zu einer Special Session of the General Assembly (UNGASS) führte, die einen teuren 10-Jahresplan zur „elimination and substantial reduction of coca leaf, opium poppy and cannabis cultivation by 2008“ beschloss, dessen (vorgesehene) Evaluation bis heute nicht ernsthaft in Angriff genommen wurde (vgl. zu diesem kaum noch überschaubaren Kontroll-Komplex: S. 121ff): „It has done little to understand the domestic needs of member states but endorses and promotes the aims of its major donors, principally the US and the EU and its member states, who appoint its senior officers and second many of its staff“ (127).
In den weiteren Kapiteln untersucht Klein die Folgen dieser Strategie in einigen Entwicklungsländern. Er beschreibt zunächst die Ausbreitung dieser „Epidemien“ im Gefolge von Tourismus und Handelsrouten (trafficking) mitsamt ihren zerstörerischen Folgen für die ursprünglich kulturell regulierten lokalen Märkte (135). Am Beispiel der Karibik (etwa Jamaika) “ auf der Transportroute für das südamerikanische Kokain gelegen “ zeigt er sowohl die negativen Wirkungen der Übernahme des international geforderten Straf-Regimes wie die Konsequenzen des von der WTO (World Trade Organization) geforderten Abbaus von Zollschranken und Subventionen für die dadurch nicht mehr konkurrenzfähigen einheimischen Bananen-Kulturen: „The opportunity to retain a drug-free island chain was squandered without a murmur in the face of pressure from a particular lobby, in this case agri-business“ (149). Verstärkt wurde diese Entwicklung durch den Abzug der UNODC-Programme im Zuge der neu auftretenden Probleme einer „Heroin-Seiden-Straße“ in den osteuropäischen und zentralasiatischen Staaten (154). Am Beispiel des von der EU finanzierten Southern Caucasus Anti-Drug Programme (SCAD) zeigt er, wie dadurch – auf der Folie von Pseudo-Therapieprogrammen – vor allem die weithin korrupten Sicherheitskräfte ausgebaut werden: „The law, then, has hugely enhanced the powers of a police force already riddled with corruption, with the active support of an EU-funded and UN-implemented regional assistance programme“ (160). Abgerundet wird diese Analyse durch Hinweise auf die Ausbreitung des Coca-Anbaus durch das Vorgehen in Kolumbien (174) sowie die neuere Entwicklung einer Khat-Ökonomie im östlichen Afrika (182).
Abschließend fasst Klein das Ergebnis seiner Analyse unter einem doppelten Aspekt zusammen: Einerseits übersehe die gegenwärtige internationale Drogen-Kontrolle – wie sie vor allem von einer religiös-puritanischen USA vorangetrieben werde – die Lust-spendenden (pleasure) Drogen-Funktionen, die heute in postmodernen Zeiten mehr denn je in eine allgemeine Konsum-Gesellschaft eingebettet seien (188). Andererseits pervertiere die immer mehr scheiternde internationale Drogen-Politik ihr ursprüngliches aufklärerisch-befreiendes Anliegen vor allem auch in schwachen und autoritären Staaten durch eine Ausweitung repressiver und Menschenrechts-verletzender Kontrollen: „While it is increasingly clear that the costs of prohibition are outweighing the benefits, there is no shift in policy in view, with policy-makers shrugging off critical voices (…). Professionals working for the drug control industry have no interest in dismantling the machinery that provides benefits and prestige“ (194).
Fazit
Das leicht zu lesende, gelegentlich etwas sprunghaft aufgebaute, doch gut dokumentierte Buch bietet zusammen mit eindrucksvollen Analysen und weiterführender einschlägiger Literatur einen sehr guten Einblick in die bisher bei uns nur wenig bekannte internationale Basis einer weithin repressiv orientierten Drogen-Politik, die – widerständig gegen wissenschaftliche Kritik – nicht nur bei uns, sondern weltweit mehr Schaden als Nutzen stiftet. Eine Übersetzung wäre dringlich.
Rezensent
Prof. Dr. Stephan Quensel
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